Freudig hopse ich die Hauptstraße entlang. Ich bin in Sinaw, einer Stadt, die mir schon sofort bei meiner Ankunft sympatisch war, weil sie so authentisch ist. Langsam wird es dämmrig. Auf der Straße ist ordentlich was los: Viele Leute sind mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs. Einem bestimmten Restaurant strömen wahre Zweibeinermassen entgegen. Es versammeln sich verschieden große Menschenmengen. Oft sitzen sie auf dem Boden auf ausgebreiteten Tüchern. Überall hocken sie: Auf großen und kleinen Freiflächen, auf den Fliesen in einer Wäscherei, auf Stühlen mit Tisch vor einem Geschäft...
„Ernesto, was ist da los?“ wirst du fragen. Fastenbrechen, das ist los. Es ist nämlich Ramadan und mit dem abendlichen Muezzinruf zum Sonnenuntergang endet die tägliche Fastenzeit. Schon eine ganze Weile vor diesem Gesang treffen sich omanische Muslime auf der Straße. Sie scheinen das Warten regelrecht zu zelebrieren, wie ich finde. Zwei junge Frauen sitzen auf einer steinernen Bank. Zwischen ihnen stehen zwei Trinkpäckchen und zwei kleine bedeckelte Portionen aus einem Schnellimbiss. Schon eine ganze Weile vor der Zeit wird der Trinkhalm sorgfältig in das dafür vorgesehene Löchlein gepiekt. Ein wenig später werden die Deckel der Essbehälter aufgeklappt. So sitzen sie mehrere Minuten andächtig vor ihrer Mahlzeit und erwarten Iftar, das abendliche Fastenbrechen.
Ich biege ab in den eher stillen Hof des alten Souq. Auch unter dem zentralen Dach hockt eine Gruppe von ca. 20 Männern um ein langes Bodentuch wie an einer Tafel. Als der erlösende Muezzinruf ertönt, steht einer am Kopfende auf, schnappt sich eine Handvoll Datteln aus einem Beutel und wirft sie in die Menge wie Faschingskamellen. Gelassen sammeln die anderen Männer die Früchte auf, an die sie herankommen. Der „Vorsitzende“ wirft weiter, die anderen sammeln. Erst im Anschluss wird gegessen.
Nach meinem Rundflug im Souq flattere ich zurück auf die Straße. Seit ich die quirlige Verkehrsader verlassen habe, sind keine 8 Minuten vergangen, aber im Gegensatz zu vorhin ist sie völlig verwaist. Keine Autos, keine Fahrräder, ganz vereinzelt Fußgänger, eine deutlich leisere Geräuschkulisse. Dafür noch mehr ruhig sitzende und essende Menschen. Die zwei jungen Frauen gabeln gemächlich ihre fernöstlichen Instantnudeln.
Doch schon nach wenigen Minuten löst sich die erste Gruppe auf, eine wirklich große von schätzungsweise 40 Muslimen. Mit einem kurzen Gruß verabschieden sie sich voneinander und alle gehen ihres Weges. Schon bald erheben sich die nächsten. Auch die Restaurants leeren sich schon wieder und -schwuppdiwupp- sind dort nur noch die Spuren ehemaliger Gäste zu entdecken: Zerknüllte Servietten, abgegessene Teller, Krümel und Kleckerreste. Scheinbar ist das Fastenbrechen selbst eine kurze und stille Angelegenheit, das Warten darauf allerdings ein vorfreudig ausgedehntes Ritual.
Nur ganz am Ende des Ramadans, am Zuckerfest sozusagen, da werden selbst die ausgeglichenen Omanis fast so etwas wie extatisch. Zumindest in Sur, denn da finde ich auf einem staubigen Sandplatz am Rande des Zentrums zufällig eine riesige tanzende Männermenge. Choreografie und Eleganz wirken etwas improvisiert und ungelenk, aber man ist mit Herzblut dabei. Ich schaue dem Spektakel laaaaaange Zeit zu, bekomme Wasser angeboten wie alle anderen auch und werde zum Fotografieren mitten in die Menge eingeladen. Später komme ich mit Mohammed ins Gespräch und der erzählt mir, dass es so ein Fest nur in Sur gibt und dass er extra dafür aus Muscat angereist ist. Er lädt mich zu Kaffee und omanischem Halwa ein, das gerade zur Stärkung der Tänzer gereicht wird. Ich habe zwar nicht getanzt, aber die vielen neuen Eindrücke haben mich glatt etwas erschöpft und futtern kann ich ja sowieso immer.
Apropos: Ich als allesfressender, immer hungriger Rabe finde es sehr bewundernswert so einen Fastenmonat zu überstehen. Nicht nur, wie manche von euch es schaffen, sooooooo viele Stunden lang gar Nichts zu essen, sondern auch, wie ihr es schafft, danach so wenig und stilvoll zu essen. Ich müsste mich gierig auf alles Fressbare stürzen, dessen ich habhaft werden kann. Aber vielleicht hat mir eine Frau das Geheimnis verraten: “Nach zwei Tagen hat sich der Körper daran gewöhnt, dann ist es ganz einfach.“
Infos:
In Oman war ich im April 2024.