Sie müssen ihren Mann stehen

Die Rolle der Frauen

 

„Hui, ist das voll hier! Es ist echt was los“, stelle ich fest. Ich flattere durch eine enge, abendlich schummrige Gasse in der Stadt Nizwa und bin sehr froh, dass ich fliegen kann. Ansonsten müsste ich mich nämlich durch die dichte Menschenmenge quetschen und das finde ich, klein wie ich bin, nicht sehr verlockend. Einfache Läden aller Art, viele von euch stehen herum und palavern, andere schieben sich geschäftig zwischen ihnen durch, ein Gedränge wie in einer Flamingo-Kolonie. Aber irgendwas macht mich stutzig. Etwas ist merkwürdig. Hm. Ich schaue mich weiter um und überlege. Richtig – es sind nur Männer unterwegs! Auch wenn ich noch so adlergenau hinschaue: Ich sehe keine einzige Frau. Vom Souq in Muscat kenne ich das so nicht, da liefen alle bunt gemischt herum: männliche Omanis, Touristinnen, einheimische Frauen und weitgereiste Männer.

 

 

 

 

Aber stimmt – jetzt, wo ich genauer darüber nachdenke, fällt mir das Eine oder Andere rückblickend auf: Immer wieder liefen Frauen mehrere Schritte hinter ihrem Mann. Viele Frauen tragen einen wie auch immer gearteten Schleier. Im Fisch- und Viehsouq von Sinaw waren Frauen akzeptiert, wenn auch nicht allzu häufig anzutreffen.

In Restaurants und einer Fähre habe ich ausgewiesene Räume für Männer und Familien gesehen. Gemeint sind aber eigentlich Frauen und Kinder, denn auch die Väter, Onkels usw. trennen sich von ihren Familien und verschwinden im Männerraum.

Einmal im Lokal hielt ich regelrecht die Luft an, denn ein Touristenpärchen (sprich: Frau und Mann) spazierte seelenruhig gemeinsam in den Männerraum. Und was passierte? Nichts. Sie wurden bedient wie jeder andere auch.

 

 

Aber stimmt – jetzt, wo ich genauer darüber nachdenke, fällt mir auch noch ein Text aus meinem schlauen Reisehandbuch ein. Der besagt, dass omanische Frauen vor dem Gesetz absolut gleichberechtigt sind. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer und dürfen die gleichen Dinge tun oder lassen wie sie. Aber die Literatur verweist gleichzeitig darauf, dass weibliche Omanis ein ausgeprägtes Stehvermögen brauchen, um sich in der Männergesellschaft zu emanzipieren. Und genau das haben mir auch meine Beobachtungen gezeigt. Das Gesetz ist also viel innovativer als die Gesellschaft.

 

 

Auch auf dem Freudenfest am Ende des Ramadans in Sur sind nur Männer. Die Frauen feieren an einem eigenen Ort, erzählt man mir.
Auch auf dem Freudenfest am Ende des Ramadans in Sur sind nur Männer. Die Frauen feieren an einem eigenen Ort, erzählt man mir.

 

 

Ich denke noch einmal an die Touristin und ihrem Begleiter im Männerraum des Restaurants zurück: Gesetzlich gibt es keine Grundlage, die das Durchsetzen der Trennung rechtfertigen würde. Deshalb hat auch niemand protestiert. Ob sie es aus Unwissenheit oder absichtlich getan haben, ist ja egal. Aber um wieviel leichter war es der westlichen Frau, in den moralisch geächteten Bereich einzudringen. Sie hatte keine Familienmänner vor Ort, denen sie sich hätte widersetzen müssen. Doch mit jeder Touristenfrau im Männerbereich weicht das gewohnte Bild in den Köpfen der omanischen Männer mehr und mehr auf. Mit jeder Touristenfrau im Männerbereich entwickelt sich in deren Köpfen nach und nach eine neue Wirklichkeit, in der Frauen auf die gleiche Weise zum öffentlichen Leben gehören wie ihre männlichen Artgenossen.

Das ist doch der beste Beweis dafür, dass Tourismus nicht nur Risiken, sondern auch positive Nebenwirkungen hat.

 

 

Stoffe auf dem Frauenmarkt in Sinaw
Stoffe auf dem Frauenmarkt in Sinaw

Infos:

Lorenz Töpperwien, Julietta Baums: Oman (Trescher Verlag) ist mein schlaues Reisehandbuch.

 

In Oman war ich im April 2024.