Laut dröhnt die Musik in dem kleinen, etwas schäbigen Innenhof. Er liegt dicht umgeben von Wohnhäusern mitten in Havanna, aber niemand der Nachbarn stört sich an diesem "Lärm". Es ist schon spät, aber die Kinder sind noch wach und tanzen. Ihre Hüften wackeln schwungvoll in beispiellosem Tempo – wie übrigens bei allen Kubanern. Selbst die steifen unter ihnen wirken als wären sie aus Gummi. Wie machen die das bloß, frage ich mich. "Wir wachsen einfach damit auf", erklärt Yaney. Stimmt, selbst der 5-jährige Luca macht mit und zwar offensichtlich nicht zum ersten Mal. Yaney und die ältere Marta haben bis eben auch getanzt, aber jetzt müssen sie sich totlachen. Warum weiß ich nicht, aber am ehesten hängt es vielleicht damit zusammen, dass Marta ganz schön einen im Kaf... Tee hat. Es ist der Höhepunkt eines hummelstarken Abends mit Yaney, ihrer Familie und eben Marta, der Nachbarin.
Begonnen hat er mit diesem üppigen Buffet. Es gibt Hühnchen, Yucca, Süßkartoffeln, frische Gurke und Tomate, vor allen Dingen Reis und schwarze Bohnen. Das alles schmeckt pfaulecker und es sind typisch kubanische Speisen, denn im Laufe meines Aus-Fluges sollte ich sie noch oft zu essen bekommen. Allein das Spanferkel fehlt, das schlachten viele Bauern ebenfalls für ihre Gäste. Beim Nachtisch beginnt Yaney mir ihre Geschichte zu erzählen. In diesem Haus wohne sie schon lange, sagt sie, urspünglich im Obergeschoss. Welches Obergeschoss? Ich hocke in ihrem Esszimmer und bin mir sicher: Da war kein Obergeschoss. Ich flattere in den Hof und schaue nach: Tatsächlich, nur über der Küche gibt es noch einen Raum. Yaney berichtet weiter: Früher wohnte im Erdgeschoss eine alte Dame, die Besitzerin des Hauses, und sie selbst allein mit ihrer kleinen Tochter Wendy in einer Wohnung im Obergeschoss. Wendys Vater hatte sich ziemlich schnell aus dem Staub gemacht.
2002 fiel das Haus aus Altersschwäche zusammen. Nur die Küche und der Raum darüber blieben stehen. Die Eigentümerin hatte kein Geld zur Erhaltung gehabt. Dafür vermachte sie Yaney die Reste des Gebäudes. In diesen lebte sie seit diesem Zeitpunkt und bekam zwei weitere Töchter von einem weiteren Mann. Im neu entstandenen Hof hielt sie ein paar Schweine.
Seit 2010 bekam sie mehrfach private finanzielle Unterstützung, mit der sie zwei weitere Räume bauen konnte: Das Esszimmer, auf dessen Tisch ich gespannt vor Yaney hocke, und ein weiteres für die Kinder. Schließlich half der Spender auch mit Ideen für einen eigenständigen Existenzaufbau. Erst wurde das Haus an Gas und Wasser angeschlossen, danach die Lizenz für eine Cafeteria erworben. Das war quasi ein Straßenverkauf aus dem Haus heraus für Erfrischungsgetränke und Snacks. Schließlich wurde gegenüber ein Touristenmarkt eröffnet und Yaney bekam die Lizenz, die Verkäufer mit Essen zu versorgen. Heute funktioniert ihr Geschäft wie ein Lieferdienst. Sie kauft am Vortag bei einem festen Lieferanten, was gerade da ist, und kreiert daraus eine Mahlzeit. Ein Kurier nimmt am nächsten Vormittag die Bestellungen auf, Yaney kocht und verpackt sie, der Kurier liefert sie aus. Jetzt weiß ich auch, warum das Essen so hummelstark war – Kochen ist ihr Beruf!
2014 bekam Yaney von einem dritten Mann ihren Sohn Luca. Somit hat sie 4 Kinder von 3 verschiedenen Männern. Die älteste Tochter Wendy ist 19. Sie hatte eine Ausbildung als Tänzerin begonnen, aber da sie zu klein ist, musste sie sich anderweitig umschauen. Heute ist sie fertig ausgebildete Friseurin oder Kosmetikerin oder Stylistin (so genau kenne ich mich da nicht aus, war schon lange nicht mehr da). Sie ist in einem Salon angestellt und träumt von einem eigenen Laden. Die Mutter ist erleichtert darüber, denn oft prostituieren sich junge Frauen und Mädchen. Sie gehen in Clubs und Discos, wo sie auf Touristen und reiche Kubaner treffen. Auch die leise Hoffnung, dass sich einer von ihnen in sie verliebt, schwingt mit. Auf jeden Fall verdienen sie mit einem einzigen Freier durchaus das Monatsgehalt eines Staatsangestellten. Umso nachvollziehbarer wird die folgende mütterliche Aussage, denn Yaneys Antwort auf meine Frage nach ihren Wünschen und Träumen lautet: "Wovon soll ich schon träumen, außer dass ich meine Kinder gut groß kriege? Das geht halt immer so weiter."
So, nun kennt ihr die Geschichte von Yaney und habt wieder etwas typisch Kubanisches kennengelernt: Kubanische Partnerschaften sind keine Verbindungen für die Ewigkeit. Frauen und Männer, die eine prächtige Anzahl von Kindern mit verschiedenen Partnern haben, sind hier die Regel. Der Rekord meines Aus-Fluges: 7 Kinder mit 6 Frauen. Einzige Ausnahme meiner Reise: Frank Robaina, 3 Kinder mit 1 Frau. Häuser werden so lange bewohnt, bis sie vor lauter Baufälligkeit zusammenbrechen. Der Grund dafür ist die Armut der Menschen. Meistens ist der Aufbau einer eigenen Existenz nur mit privater finanzieller Hilfe von Familie oder Freunden möglich. Und nicht zuletzt: Gerade in der Stadt können Mädchen und junge Frauen mit Prostitution viel Geld verdienen.
Infos:
In Kuba war ich im Dezember 19.