Ahhhhhhh, Strand, Palmen, Meer... Was will man mehr? Ich lasse mich auf den feinen hellen Sandstrand fallen. Ich mache meine großen Augen zu, spüre die Wärme des Sandes unter mir, die Brise in meinem Flokati und höre die Wellen und Palmenblätter sanft rauschen. "Endlich angekommen", denke ich mir. Nach 16 Flugzeugstunden, Zwischenstopps in München und Singapur, einem einstündigen Autotransfer und einer ebenso langen, ordentlich wackelnden Fahrt auf einem kleinen Schiff an der salzigen Frischluft. Endlich angekommen am anderen Ende der Welt – mitten im Nichts. Der Strand ist der Rand einer wirklich kleinen Insel Indonesiens. Hinter mir gibt es eine Handvoll Bambushütten. Manche haben eine Veranda und sind die Zimmer der Gäste, manche dienen der Versorgung ebendieser Gäste. Ich bin einer von ihnen. Ich öffne die Augen und gucke mich um.
Doch was ist das? Der Sand! Der bewegt sich! Nein, es ist der ganze Strand! Er läuft. Überall um mich herum. Ich gucke genauer hin. Ja, da läuft etwas. Aber es ist nicht der Strand – klar eigentlich.
Davon gibt es hier ganz viele und weil sie so gut getarnt sind, sieht man sie selbst kaum, sondern nur ihre Bewegung. Außerdem sind sie pfeilschnell. Mit meinen schläfrigen Augen kann ich ihrer Geschwindigkeit kaum folgen. Wie alle Krebse können sie vor-, rück- und seitwärts laufen. Oft bewegen sie sich ganz dicht an der Wasserlinie und flüchten in ihrem affenartigen Tempo vor den nahenden Wellen. Aber sie laufen nicht nur, sie graben auch kleine Löcher. Immer wieder tragen sie kleinste Sandmengen aus den Tiefen zum Ausgang und schmeißen die Körnchen richtig weit weg. Einige rollen den feuchten Sand zu kleinen Kügelchen und tragen sie ein Stück. Einer reibt sich danach tatsächlich die "Arme" sauber. Einer belauert das mühsam gegrabene Loch eines anderen und wann immer der sich vom Loch entfernt, rückt er nach um es zu erobern. Der Besitzer merkt es jedoch, flitzt heran und vertreibt den Eindringling. So geht das ein paar Mal hin und her, bis es dem Lochbewohner zu bunt wird. Diesmal versteckt er sich hinter einem in der Nähe liegenden Ast und lässt den Angreifer ganz nah an sein Heim heran. Schließlich schießt er regelrecht hervor, erreicht den überraschten Delinquenten und vermöbelt ihn kurz. Der flieht und es ist Ruhe. Ich schrecke hoch. Mittag! Zeit zu essen!
Den Nachmittag über lümmele ich auf der Veranda meiner Hütte herum, schmökere in meiner Reiseliteratur und freue mich auf die bevorstehenden Wochen in Indonesien. Nachmittags lesen führt unweigerlich zum Nickerchen und wirklich fallen mir irgendwann die Augen zu. Geweckt werde ich von Agi, die mir ein freundliches "Hello, Ernesto, it´s teatime" entgegenruft und mit einem kleinen Tablett vor meinen verschlafenen Augen steht. Es gibt tatsächlich Tee und ein Hefeklößchen mit Nussfüllung. Danach lese ich wieder, lausche den nahen Wellen, schaue dem Himmel beim Dunkelwerden zu und wie die Palmenblätter langsam mit ihm verschmelzen.
Ich schrecke hoch! Abend! Zeit zu essen. Wieder treffen wir uns und plaudern beim Mahl. Danach nutze ich die tolle Gelegenheit Sterne zu gucken. Und zwar bei warmen Temperaturen und nicht völlig übermüdet, weil es ja noch früh am Abend ist.
Die nächsten zwei Tage bin ich noch hier in dieser kleinen Welt am Ende der Welt und ich kann sie verbringen wie ich will. Ich kann tauchen, ich kann spazieren gehen, ich kann einen Bootsausflug machen... Aber die Reizarmut meiner kleinen Welt vom ersten Tag hat mich so gefangen genommen und beruhigt, dass ich es nicht fertig bringe, meine Zeit anders zu verbringen. Jeden Tag besuche ich vormittags "meine" Krebse und schaue ihren Geschäften zu, mache es mir nachmittags lesend und dösend auf der Veranda gemütlich und betrachte abends stundenlang den grandiosen Sternenhimmel.
Am Ende der 3½ Tage in meiner kleinen reizarmen Welt verspüre ich eine tiefe innere Ruhe (so tief es halt bei meiner Kleinheit geht). Ich fühle mich leicht und frei und freue mich umso offener auf alles das, was mir auf meiner langen Reise durch Indonesien begegnen mag.
Infos und diesmal auch eine Anmerkung:
Was ist deine kleine reizarme Welt? Dein Lieblingssessel? Die Bank am Teich? Ein buddhistisches Kloster? Wenn du keine hast, halte Ausschau nach ihr oder schaffe sie dir selbst, indem du eben einen dieser Plätze zu deiner ganz persönlichen Ruhezone erklärst. Sieh zu, dass der Platz näher an deinem Zuhause ist, als meiner, sonst wird es auf die Dauer teuer. Um deinen Geldbeutel zu schützen, verrate ich den Namen der Insel nicht. Außerdem soll sie nicht zu publik gemacht werden, damit sie weiterhin so geruhsam ihr entspanntes Dasein fristen kann. Es gibt so viele andere...
In Indonesien war ich im Juli/ August 2019.