Ah, mediterranes Leben, wie es man es sich als Reiserabe wünscht! Es ist schön warm, um mich herum flanieren Menschen in alle Richtungen, Restauranttische stehen herum, die Fassaden sind schön beleuchtet. Ich hocke auf der Plaza Mayor von Trujillo, die eine der schönsten in der Extremadura sein soll. Und tatsächlich finde ich sie außerordentlich hübsch! Laaaaaaange hocke ich da, einfach weil es so schön ist.
Zur ostersonntäglichen Mittagsstunde soll das Chiviri-Fest beginnen. Dafür ist Trujillo bekannt, denn im langen Reigen der in Spanien üblichen Osterprozessionen ist das hier etwas Besonderes. Deshalb finde auch ich mich am späten Vormittag erneut auf der Plaza Mayor ein und beobachte euer Treiben.
Kurz gesagt: Es spielt die gleiche Musikgruppe wie am Vorabend die gleichen Lieder, die angesiedelt sind irgendwo zwischen Party, Spanien, Folklore, Pop und Balkan. Die Leute bevölkern tanzend, trinkend, palavernd und umherziehend den Platz. Reichlich Gelegenheit für die kleinen Beobachtungen und Anekdoten, die ein solches Fest ausmachen.
Man rückt in Horden an. Ganze Großfamilien, Freundeskreise...
Es gibt einen festen Weg aus der gesichtslosen Neustadt hinauf zur Plaza Mayor. Die umliegenden Gassen sind wie leergefegt.
Ein Vater hat seine etwa 1-jährige Tochter im Trachtenkleid auf dem Arm. Optisch besteht die Kleine eigentlich nur aus Kopf und gelb-schwarzem Rock.
Eine Spanierin steht in der prallen Nachmittagssonne an einem offensichtlich geöffneten, aber verwaisten Crepestand und wartet auf Bedienung. Ein ca. 4-jähriges Mädchen spaziert herbei, in der einen Hand eine riesige, völlig zerfledderte blaue Zuckerwatte, in der anderen Hand eine Waffel Vanilleeis, den Mund in einem geschlossenen Kreis fingerbreit mit ebendiesem Eis verschmiert. Sie schaut die wartende Frau an und geht weiter in Richtung des benachbarten Dartstandes. Auf halbem Wege dorthin brüllt sie energisch: „Ey! Ivo!“ Der dort beschäftigte Mann schaut. Zackig nickt sie mit dem Kopf zum Crepestand und der geduldig Wartenden. Er schließt seine Tätigkeit ab und setzt sich prompt dorthin in Bewegung.
Nachdem ich den ganzen Trubel zwei, drei Stunden habe auf mich wirken lassen, ist es Zeit, eine Flugrunde durch die mittelalterliche Oberstadt zu drehen und der maurischen Festung einen kurzen Besuch abzustatten. Ich genieße die Stille, denn nur ab und zu schallt der Palaver der Plaza herauf.
Als ich am späten Nachmittag zur Plaza Mayor zurückkehre, hat die Band ihr Konzert beendet und das Fest befindet sich in Auflösung. Was sich nun zwischen den abziehenden Massen auf dem Pflaster herausschält, versetzt mich wiederum in atemloses Staunen.
Als ein Laster über den Platz fährt, knallt es häufiger, nämlich immer dann, wenn er eine der am Boden liegenden Flaschen überfährt und diese platzt.
Mädchen in ihren schmucken Trachten kicken sich leere Flaschen zu. Sie laufen mit unter die Fersen geklemmten Dosen klackernd über das Pflaster. Eine von ihnen imitiert einen Flamenco-Tanz. Andere legen noch halbgefüllte Flaschen geöffnet auf den Boden, treten darauf und spritzen sich so gegenseitig mit dem klebrigen Getränk voll. Wie ruiniere ich meine Tracht schnell und effektiv?
Ein Paar sitzt nebeneinander auf den Treppenstufen. Sie untersucht sein Gesicht nach Pickeln und drückt sie aus.
Restaurants wurden Getränkestände und werden nun wieder Restaurants.
Das ist die perfekte Zeit, um mir noch schnell das rote Getränk, das hier viele trinken, zu bestellen. Ich flattere also zu einer noch bestehenden Ausgabe und hocke mich auf die Theke. Ein junger Mann nimmt sich meiner an. Ich krächze: „Ich hätte gerne das da“ und deute mit dem Schnabel auf einen entsprechend gefüllten Becher neben mir. Er schaut mich zweifelnd an und fragt: „You know what it is?“ Das klingt zwar äußerst verdächtig, aber es ist mir egal. Das Gesöff entpuppt sich als Rotwein mit Zitronenfanta – aber es klingt schlimmer, als es tatsächlich ist. Ich finde es jedenfalls ganz passabel und angemessen für ein solches Straßenfest.
Am Ende dieser vielen Stunden lasse ich die Erlebnisse Revue passieren und stelle fest: Im Prinzip ist das Chiviri in Trujillo ein Straßenfest wie jedes andere auch.
Ungewöhnlich ist, dass es an Ostern stattfindet, denn es ist keine der in Spanien weit verbreiteten traditionellen Prozessionen. Noch ungewöhnlicher mag es euch deutschen Zweibeinern erscheinen, begeht ihr das höchste christliche Fest doch eher mit einer gewissen ernsten Betretenheit ob der dramatischen Ereignisse vor gut 2000 Jahren. Diskutiert ihr nicht sogar darüber, ob am Karfreitag überhaupt Discotheken geöffnet sein dürfen, weil dort getanzt wird? Deutsche Ernsthaftigkeit contra mediterrane Lebenskunst. Heute jedenfalls brachte mir die südliche Lebensfreude viel Freude.
Infos:
In der Extramadura war ich im April 2023.