Kinder, Kinder, der Hängegarten in Neufra ist ein echter Geheimtipp! Leider, muss ich sagen, denn er hat viiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiel mehr Beachtung verdient. Andererseits: Gerade weil ich dort so allein war, war es so anheimelnd und gemütlich.
Allerdings entfaltet er seinen wirklich ergreifenden Reiz erst, wenn man ein bisschen darüber Bescheid weiß. Also kann ich euch nur empfehlen: Lest, was ich zu erzählen habe, packt dann stante pedes eure Sachen und fahrt hin! Ihr könnt dort sogar übernachten, zum Gelände gehört nämlich das kleinste Schlosshotel Deutschlands. Das ist so klein, dass es in dieser Nacht nur euch beherbergen kann. Ausdrücklich seid ihr auch dann gerne gesehen, wenn ihr nur eine Nacht bleiben wolltet.
„Ernesto, was ist denn nun der Hängegarten?“, werdet ihr fragen. Ich erklär´s euch. Es war einmal ein Graf. Der hatte ein kleines Schloss, aber keinen Garten. Der fehlte ihm aber sehr und da das Schloss am Hang stand, konnte er sich nicht so einfach einen anlegen. Deshalb wählte er die komplizierte Variante und baute sich vor das Schloss 16 zusammenhängende, begehbare Gewölbe, die er oben abdeckte. Auf dieser dem Hang vorgelagerten Fläche ließ er den Garten anpflanzen. Das war vor etwa 450 Jahren. Mitte des 20. Jahrhunderts war das Schlösschen in einzelne Wohnungen aufgeteilt und der Garten völlig verwildert, ein Gestrüppwald sozusagen, kaum noch begehbar. Und alle Gewölbe waren mit Schutt ausgefüllt!
So sieht der Garten heute aus. Wunderschön, nicht? Überhaupt nicht mehr verwildert. „Schuld“ daran sind drei Personen, nämlich die Familie Johannsen. Die sind zu dem Garten gekommen wie die Amsel zum Kuckucksei (ich glaube, ihr sagt: „wie die Marie zum Kind“, oder?). Sie hatten nämlich für ihre Oma eine der Schlosswohnungen im vierten Stock gekauft. Als die gebrechlich wurde, ging das nicht mehr. Das muss in den 80er-Jahren gewesen sein. Also haben sie die verwilderte Grünfläche gekauft, für die eine Baugenehmigung bestand, um dort ein kleines Häuschen samt altem Wehrgang zu bauen. Nach Protest aus dem Schloss wurde die Baugenehmigung entzogen, der Kaufvertrag hingegen blieb bindend. Verhandlungen begannen, die dazu führten, dass ihnen das Fachwerkhäuschen vor den Gewölben zusätzlich überlassen wurde. Dass das von Grund auf renoviert werden musste, war nebensächlich. So übersiedelte die gesamte Familie in ihr neues Nest, zog von Zimmer zu Zimmer und renovierte, was das Zeug hielt. Nachdem sie das so schmuck gemacht hatten, wie eine Amsel ihr Nest baut, hatten sie wohl die Feuerprobe bestanden. Die Stadt bot ihnen an, sie beim Wiederherstellen des Gartens finanziell zu unterstützen und gab ihnen ganze zwei Wochen Bedenkzeit. Menschen müssen ganz schön schnell denken können. Die Johannsens dachten schnell genug und ließen sich auf das große Abenteuer ein, denn nichts anderes sollte es werden. Lest selbst:
Die Wiederherstellung übernahm Waltraud Johannsen in Eigenarbeit während ihrer Freizeit. Sie recherchierte nach originalen Plänen, schippte, schnitt, grub, rupfte, pflanzte… Unterstützung bekam und bekommt sie tatkräftig von einigen ehrenamtlichen Helfern. Zum Glück gibt es immer wieder Wohngelegenheiten ohne eigenen Garten, kann ich dazu nur sagen. Dann können ein paar von euch sich eben im Hängegarten austoben.
Trotzdem werden jährlich 50 000€ für das Betreiben der Anlage benötigt. Seit 1999 muss die Familie den Betrag tatsächlich selbst irgendwie auftreiben, denn die Bezuschussung von öffentlicher Seite aus fand nach einigen Jahren ihr unerklärliches Ende. Aber die Johannsens ließen sich abermals nicht unterkriegen, waren eulenklug und kreativ wie verspielte Raben. Und so fanden sie vielfältige Möglichkeiten, den Garten zu nutzen, in Szene zu setzen, die Leute zu begeistern und somit Geld in die Kasse zu bekommen: Regelmäßige Kräutertage, Gartenmeditationsseminare, klassische Konzerte (Sommerserenade), Weinproben, Führungen, Kunstausstellungen, Teilnahme an Schulprojekten, Gründung einer Stiftung (an die ihr gerne spenden dürft)… Im Erdgeschoss des kleinsten Schlosshotels gibt es eine (wie sollte es anders sein?) kleine Gaststätte, die müde Flieger, Radler und andere Gäste gerne willkommen heißt.
Aber es hilft alles nichts, es muss noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit her. Wie ich ja am Anfang schon erzählt habe, ist dieses Kleinod leider noch ein Geheimtipp. Um dieses Aufsehen bemüht sich sehr engagiert und redlich Christina, die Tochter. Sie erreichte, dass ihre Mutter, Waltraud, mit der Landesehrennadel ausgezeichnet wurde und der Garten mit dem Green Flag Award. Erste Erfolge.
Sie wünscht es sich so, die Christina Johannsen, dass die Gewölbe für alle Besucher offen sind und –ehrlich gesagt- ich bin auch total gespannt darauf. Besonders nachdem ich die zwei von innen gesehen habe, in die man heute schon rein darf. Wenn die alle offen wären, würde ich sofort wieder einen Aus-Flug dorthin machen und in ihnen ein bisschen spazieren flattern. Dann einen Kaffee im Garten und im Schlosshotel schlafen. Für einen kleinen Raben ist da bestimmt immer irgendwo ein Plätzchen. Ich könnte auch in einem Gewölbe ein kleines Reisenest bauen. Toll, hoffentlich ist es bald soweit! Vielleicht könnt ihr euch alle irgendwie einigen und das der Christina zu Weihnachten schenken. Und mir auch ein bisschen.