„Erst war ich zwei Monate in einem indischen Ashram und habe die Veden studiert. Und war ich noch vier Wochen lang in einer Tauchschule“, erzählt mir Julius mit leuchtenden Augen, ein Wiener in den besten Jahren, von seinen letzten Monaten. „Wie machst du das bloß?“ frage ich ihn. „Musst du gar nicht arbeiten?“ Im Moment nicht, sagt er, weil er eine Bildungskarenz mache. Und weiter berichtet er: Jeder Österreicher darf seinen Beruf Beruf sein lassen und machen, was er will. Vorausgesetzt, er tut das nur eine Zeit lang und bildet sich dabei. Das nennt sich dann eben Bildungskarenz und er bekommt sogar eine Art Karenzgeld, ungefähr in der Höhe des Arbeitslosengeldes. Und danach kehrt er einfach wieder an seine alte Arbeitsstelle zurück als wär´ nix gewesen. Julius findet das gut, denn wie ein Zugvogel hält es ihn nie lange an einem Ort, aber in Österreich kann er es durch die Bildungskarenz ganz gut aushalten mit seinem Fernweh. Außerdem macht sie schlau und flexibel und erhält damit die Gesundheit der Österreicher.
Immer wieder stelle ich in meinen Gesprächen fest: Österreich sorgt für seine Bürger. Und zwar BEVOR es ihnen schlecht geht. So wie ich das verstehe, ist das in Deutschland anders. Da gibt es eine Versorgung für Arbeitslose und ein ausgeprägtes Krankenwesen. Deutschland kümmert sich also um euch, wenn ihr in Schwierigkeiten seid. Das ist sehr löblich und wichtig. Aber mir scheint: Österreich umsorgt seine Bürger, damit es ihnen möglichst gar nicht erst schlecht geht. Das glaubst du nicht? Dann lies mal die anderen Geschichten, die ich erzählt bekommen habe.
Nachdem ein Mensch 3 Jahre lang in Wien gelebt hat, steht ihm eine bezuschusste und damit günstigere Sozialwohnung zu – einfach so. Zu diesem Zwecke hat die Stadt Wien viiiiiiiiiele Nes... - nein, Wohnungen in Besitz genommen oder einfach selbst gebaut. Das hält die Mieten im Zaum und somit das Geld des Österreichers zusammen.
Jeder Mensch kann sich ein Jahresticket für die Wiener Linien (also U-Bahn, Bim, Bus) kaufen. Für 365 €. So kann jeder für wenig Geld mobil sein. Und es hält die Luft in der Stadt und die Lungen der Österreicher rein.
Wiener Wasser – kennst du Wiener Wasser? Kannst du in jedem Lokal bestellen und du bekommst es kostenlos, sogar karaffenweise, wenn du das willst. „Ernesto, was ist das denn?“ wirst du fragen. Ganz einfach: Wiener Wasser ist Leitungswasser. Sehr wohlschmeckendes übrigens und zum Kaffee kriegst ein Glas ungefragt dazu. Auf der Straße gibt es sogar öffentliche Trinkbrunnen, die auf typisch wienerische Art -sehr direkt- zum Wassertrinken auffordern. Außerdem habe ich immer wieder altehrwürdige Waschbecken an Wänden entdeckt, z.B. im Treppenhaus eines Wohnhauses oder in Geschäften. Daraus darf jeder Wiener Wasser zapfen und trinken. Und auch Trinken erhält die Gesundheit der Österreicher.
Der Österreicher kann sich also echt umsorgt fühlen. Man könnte glatt zu dem Schluss kommen: Hier ist der Staat ist für seine Bürger da und nicht umgekehrt.
Infos:
In Wien war ich im Juni und August 2011 sowie im Oktober 2019. Diese Reportage ist von 2019.
Infos über die Bildungskarenz von der Arbeiterkammer Österreichs gibt es hier.