Stadt - Land - Leere

Verfall der ländlichen Kleinstädte

 

Kalbe – das Städtchen mit dem wirklich hübschen alten Ortskern. Der Ort der irre langen und schmalen Grundstücke. Das Städtchen mitten in der idyllischen Altmark.

 

 

 

 

Kalbe ist aber auch die Stadt der 100 Brücken – zumindest wenn man der Eigenwerbung Glauben schenken will. Wie zum Kuckuck kommt ein Ort mit weniger als 3000 Einwohnern auf soooooo viele Brücken? Am besten sieht man das schätzungsweise aus der Luft. Eine Kleinigkeit für mich – also atme ich tief ein und erhebe mich in luftige Höhen. Kaum bin ich hoch genug, wird die Sache glasklar. Um den gesamten Ortskern herum fließt die Milde, zum Teil „in echt“, zum Teil als Kanal, wie ich später lernen werde. Jedes einzelne Grundstück reicht von einer der beiden Parallelstraßen der Altstadt bis zum Flüsschen. Dadurch entstehen storchbeinförmige Grundstücke: lang und dünn. Jedes von ihnen hat einen Hinterausgang mit... einer Brücke über die Milde. So etwas habe ich ja noch nie gesehen! Und nun glaube ich auch auf´s Wort, dass Kalbe trotz seiner Kleinheit 100 Brücken hat!

 

 

 

 

Jetzt mache ich einen Rundflug durch den alten Ortskern und erfreue mich an der schönen alten Bausubstanz. Häuser unterschiedlicher Stilepochen reihen sich aneinander, eine neue Hausoptik unterbricht diese bescheidene Pracht nur manchmal. Kopfsteinpflaster. Einfaches Fachwerk, klassizistische Fassaden. Ich genieße die Stille. Kaum ein Zweibeiner ist unterwegs um diese Zeit, weder zu Fuß noch per Auto oder Fahrrad. Doch bei genauerem Hinsehen bemerke ich:

 

 

 

 

Um es deutlich zu sagen: Hier ist der Lack ganz schön ab. Und somit war es mitnichten Zufall, dass mir so wenig Menschen begegnet sind. Zu anderen Tageszeiten ist es genauso leer.

Kalbe geht es wie so vielen anderen Kleinstädten auf dem deutschen Lande: Einwohner wandern ab, besonders die jungen von euch. Wo niemand ist, kauft auch niemand ein, also ziehen auch Läden und Geschäfte ab. Wo niemand ist, kann auch niemand arbeiten, also gibt es auch keine Handwerksbetriebe oder Fabriken. Wo niemand arbeitet, muss auch niemand pendeln, also gibt es auch keine öffentlichen Verkehrsmittel. Wo es keine Läden, keine Arbeit, kein ÖPNV gibt, zieht auch niemand Neues hin... Merkwürdig - ihr Zweibeiner wohnt lieber in lauten Städten mit schlechter Luft als auf dem idyllischen Land.

 

 

 

 

Um den schönen alten Stadtkern Kalbes tut es mir Leid. Genauso ging es mir schon in Dömitz, das liegt an der Elbe nördlich des Wendlandes. Am liebsten hätte ich das kleine, an sich schmucke, verfallende Städtchen komplett gekauft und saniert. Aber dazu haben plüschige Reiseraben einfach zu wenig Geld.

Doch mitten in meiner Melancholie entdecke ich etwas Hoffnungsfrohes! Und davon erzähle ich dir auf der nächsten Seite...

 

 


Infos:

In Kalbe war ich im Juli 2022 und im Juli 2024. Dieser Bericht entstand anno 2022.